Gegenlauschangriff: Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege (suhrkamp taschenbuch) Christoph Hein
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Pressestimmen »Es ist eine Kollektion der blitzlichtartigen Erhellungen, die kenntlich macht, was verborgen bleiben sollte ...« Christian Eger, Mitteldeutsche Zeitung 16.03.2019»Christoph Hein rekapituliert in 28 wunderbar lakonischen Anekdoten Glanz und Elend seiner Schriftstellerexistenz in der untergegangenen DDR.« Adam Soboczynski, DIE ZEIT 21.03.2019»Hein teilt aus und es macht Spaร, ihm dabei zu folgen, auch wenn die Dinge meist nicht so spaรig sind.« Jan Emendรถrfer, Leipziger Volkszeitung - Bรผcherwelten Mรคrz 2019»Auch in den bitteren und bizarren, komischen und tragischen Anekdoten bleibt Christoph Hein seinem Credo treu. Er ist unbequem und obrigkeitskritisch. ... Dem Schwung und Schabernack dieser Erinnerungen ist anzumerken, dass mit dem Chronisten der deutsch-deutschen Verhรคltnisse weiterhin zu rechnen sein wird.« Rainer Kasselt, Sรคchsische Zeitung 27.03.2019»Christoph Heins Pointen haben stets etwas Aphoristisches, seine Sprache ist klar und enthรผllend.« Sรผdwest Presse 27.03.2019»Der Band birgt einige Beispiele fรผr Husarenstรผckchen des bรผrgerlichen Ungehorsams.« Jamal Tuschick, Der Freitag»Egal, ob gut recherchiert oder selbst erlebt: Christoph Hein zu lesen lohnt sich immer. Seine Bรผcher seien jedem empfohlen, der wissen will, wie es in der DDR war und was die Wende fรผr die Menschen im ehemaligen Ostdeutschland bedeutete.« Welf Grombacher, Nรผrnberger Nachrichten 01.04.2019»Es war immer eine der bestechenden Eigenschaften Christoph Heins, dass er selbst hรคsslichste Abgrรผnde mit Vorsicht in Augenschein nahm. ... Dieser Geist, der selbst Empรถrung mit den Mitteln der Gelassenheit und Distanz รคuรert, klingt in seinem jรผngsten Werk schon im Untertitel an.« Lars von der Gรถnna, Westdeutsche Allgemeine Zeitung 09.05.2019»Heins knapp und nรผchtern erzรคhlte Episoden illustrieren und kommentieren Zeitgeschehen, ermรถglichen erhellende Blicke auf den Zustand des Landes. … Breite Empfehlung.« Eleonore Gottelt, ekz.bibliotheksservice IN 2019/21 รber den Autor und weitere Mitwirkende Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Dรผben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universitรคt Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universitรคt Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbรผhne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle Der fremde Freund / Drachenblut. Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis.
Es sind einige ganz nette Geschichten dabei, die meisten sind nicht weiter erwรคhnenswert. Eine gewisse Eitelkeit, die die Texte durchzieht, ist einigermaรen stรถrend, wenn auch vielleicht verzeihlich. Nicht verzeihlich ist, dass diese »Anekdoten« grรถรtenteils gar keine sind, weil sie keine Pointe haben. Das ist schon mal Etikettenschwindel. Der Bezug auf Kleist ist aber bei der mittelmรครigen stilistischen Qualitรคt geradezu selbstmรถrderisch. Dem Vergleich hรคtte sich Hein nicht aussetzen sollen.Insgesamt ganz nett, hin und wieder unterhaltsam zu lesen, aber doch ziemlich lahm und etwas matt. Vor allem wenn man Hein schรคtzt, ist es besser, sich dieses Buch zu sparen.
Ein wunderbares Episodenbuch von Christoph Hein
In einem Interview zu seinem neuen Buch meinte Hein auf der Leipziger Buchmesse, er habe sich lรคngst daran gewรถhnt, ein Auรenseiter zu sein, andernfalls wรผrde ihm wohl etwas fehlen. Zum Auรenseiter wird man schnell, wenn man nicht mit den Wรถlfen heult. Davon, dass das nie seine Sache war - weder vor noch nach der Wende - legt dieses Buch Zeugnis ab. In 28 Anekdoten verarbeitet er persรถnliche Erfahrungen und Zumutungen in zwei politischen Systemen. Diese Erlebnisse hรคtten fรผr einen Roman nicht gereicht, erklรคrte Hein im Interview, deshalb habe er die kurze Form gewรคhlt, die er bei Johann Peter Hebel bewundert - fรผr Hein der „Auftakt der modernen deutschen Prosa.“Bereits im ersten Teil der Anekdoten, die sich auf seine DDR-Erfahrung bezieht, fรถrdert er Erstaunliches zutage, z.B. in „Es war alles ganz anders“. Einfach unglaublich, dass der damalige Kulturminister Johannes R. Becher 1948 nicht zum „Weltkongress der Intellektuellen zur Verteidigung des Friedens“ nach Wroclaw fahren wollte, weil er seinen Fuร nicht in ein „polnisches Schlesien“, in das „okkupierte Breslau“ setzen wollte. Und das entsprach auch noch der Politik Ulbrichts, der fรผnf Jahre lang versuchte, durch die Rรผckgabe der ehemaligen Ostgebiete das Territorium der DDR zu erweitern. Erst als es Stalin zu bunt wurde, gab man auf und tilgte alle Spuren dieser Politik, die spรคter „revanchistisch“ genannte wurde, aus den Schulbรผchern. Also wenn das Wort 'Anekdote' ursprรผnglich „noch unbekannt und deshalb besonders anziehend“ bedeutet, dann trifft das auf diese ganz besonders zu.Andere Anekdoten des ersten Teils, z.B. „Entzweiung“, beleuchten den Auรenseiterstatus Heins, der aufgrund seiner sozialen Herkunft diskriminiert wurde und fรผr das Abitur auf ein Westberliner Gymnasium ging. An dem Stigma „Republikflรผchtling“ scheiterte spรคter nicht nur seine Freundschaft zu Thomas Brasch, sondern auch ein Studium an einer Kunsthochschule, was er dem Minister-Vater von Thomas zu verdanken hatte. Die Stasi hatte beide nach einer gemeinsamen Flugblatt-Aktion gegen den 'Prager Frรผhling' im Visier und verwanzte auch Heins Wohnung. Das ist auch anderen passiert und „Gegenlauschangriff“ ist ein Beispiel dafรผr, wie man zurรผckschlug. In diesem besonderen Kabinettstรผck wurde die Hauptrolle mit Manfred Krug besetzt, der es schaffte, bei einem Gesprรคch mit der Staatsmacht zur Biermann-Petition einen entlarvenden Tonband-Mitschnitt herzustellen. Andere Themen des Teils aus der DDR-Zeit sind der Kampf gegen die Zensur und die 'Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit'.Ein Glanzlicht des zweiten Teils ist u.a. die bitter-bรถse Abrechnung mit der 'Abwicklung' ostdeutscher Kultureinrichtungen - verstanden als „Die allerletzte Schlacht des Krieges“ - an deren Ende zwischen „Konquistadoren“ und Einheimischen รผber einen Waffenstillstand, Reparationen und Strafen verhandelt wurde. Das war schon immer so, wie ein Exkurs in die Geschichte von Siegern und Besiegten lehrt. Eine „pekuniรคre Bestrafung“ aber war gรคnzlich neu. Wรคhrend frรผher Kรถpfe rollten oder langjรคhrige Gefรคngnisstrafen die Regel waren, begnรผgte man sich diesmal damit, den besiegten Staatsoberhรคuptern „die Ehre, ihr privates Vermรถgen und die bisher gewรคhrten Privilegien abzusprechen und sie mit einer Strafrente zu belegen.“ Dieses Urteil zielte darauf ab, aus einst mรคchtigen Gegnern „kรผmmerliche und bedauernswerte Greise“ zu machen, um Unbelehrbare abzuschrecken. Wenn Hein einen derartigen Umgang mit den Besiegten ironisch als „eine staatsmรคnnisch kluge, eine geradezu machiavellistische Entscheidung“ wertet, stellt er sie bewusst in die Tradition skrupelloser Machtpolitik. Schaut man allerdings genauer hin, dann hat Machiavelli das private Eigentum immer respektiert, weil er Verachtung und Hass der Besiegten vermeiden wollte. Das ginge nur, heiรt es in „Der Fรผrst“, wenn man ihnen „Ehre“ und „Vermรถgen“ lasse. Ausgeblendet bleibt dabei auรerdem, dass der Umgang mit den ehemals Mรคchtigen in der DDR durch den Druck der Straรe gedeckt war. So wie im Fall Trump sieht man oft zu sehr auf den politischen Akteur auf der Bรผhne und viel zu wenig auf seine Wรคhler, fรผr die Trump – um mit Heinrich Heine zu sprechen - nur der Liktor ist, also die 'Tat von ihren Gedanken'. Weil Sachverstand nicht zu den unabdingbaren Voraussetzungen fรผr eine Mitgliedschaft in der Abwicklungskommission gehรถrte, gelang es den beiden ostdeutschen Unterhรคndlern schlieรlich, einen drohenden Kahlschlag abzuwenden. Man musste den westdeutschen Honoratioren nur bewusstmachen, dass das 'Gorki-Theater' keine russischsprachige Sprech-Bรผhne fรผr die Rote Armee ist, sondern ein Filetstรผck der Berliner „Prachtmeile“. Zwar siegt hier die List, aber man spรผrt die Wut des Chronisten, der genau weiร, dass die Abwicklung in Ostdeutschland fรผr die meisten eine einzige Demรผtigung war. Und dieser Ohnmachtsschock wirkt bis heute nach.Wenn es stimmt, dass die Anekdote dem Rauch gleicht, der Feuer anzeigt, dann hat Hein sich fรผr diese Form entschieden, um gesellschaftliche Brandherde zu markieren, die zum Teil heute noch schwelen. Nach F.C. Weiskopf kann die Anekdote Vorgรคnge, Verhaltensweisen und Charaktere blitzartig erhellen, wenn sie eine merkwรผrdige Geschichte pointiert erzรคhlt. Hein hat dieses Erklรคrungspotenzial scheinbar nebensรคchlicher Ereignisse brilliant genutzt, um in den Kern historischer Prozesse vorzudringen, denn seine Texte haben alles, was er bei Kleist, aber auch bei Hebel schรคtzen gelernt hat: „Prรคtention und Maร, Weltsicht und Engagement.“ Aber es braucht auch einen Leser, der ein Mindestmaร an Hintergrundwissen mitbringt.Mich haben nicht alle Texte gleichermaรen begeistert (das kann auch an meiner Begrenztheit liegen), aber lesenswert sind sie alle, sodass ich insgesamt die Anekdote - in dieser Form - neu entdeckt habe.
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